Wir beginnen das Thema „Stress und Überforderung im Elternalltag“ mit einem Perspektivwechsel. Stell dir folgende Situation vor:
Deine Perspektive:
Du bist gerade aufgestanden. Es ist noch sehr früh. Die Kinder schlafen noch. Eigentlich bist du noch sehr müde, aber du hast heute viel zu tun. Kümmere dich um die Kinder, erledige Hausarbeit und koche Essen. Du willst alles so sehr machen.
„Großartig“, denkst du. „Dann kann ich schon ein paar Dinge für den Tag vorbereiten.“ Zuerst räumst du das Wohnzimmer auf. Dann faltest du die Wäsche. Und wenn du gerade dabei bist, das Mittagessen vorzukochen, dann wacht dein Kind auf.
„Mama“, ruft es nach dir.
„Ja“, antwortest du. Gleichzeitig fluchst du leise, weil du mit dem Vorkochen noch nicht fertig bist.
„Mama“ ruft dein Kind wieder.
„Ja“, antwortest du wieder. „Ich bin gleich wieder da. Ich werde hier nur ein paar Dinge erledigen.“
Dann kochst du so schnell du kannst, fertig. Es dauert nur 15 Minuten. Du gehst zufrieden zu deinem Kind. Denn du hast bereits die Wäsche gefaltet, das Wohnzimmer aufgeräumt und das Mittagessen vorgekocht. Was für ein toller Start in den Tag, oder?
Als du zu deinem Kind kommst, bemerkst du, dass es nicht mehr im Bett liegt. Es sitzt neben den Spielsachen und spielt für sich alleine. Auf dein fröhliches „Hallo, ich bin jetzt hier. Willst du wissen, was ich schon gemacht habe?“ antwortet es kaum und zeigt auch wenig Interesse daran, Tageskleidung anzuziehen und zum Frühstück zu kommen.
Die Perspektive deines Kindes:
Dein Kind ist gerade aufgewacht. Es ist allein im Bett.
„Oh, ich würde gerne mit meiner Mama kuscheln“ denkt es und ruft dich.
„Mama!“
„Ja“, hört es dich antworten. Du bist weit weg.
„Mama“ ruft dein Kind wieder.
„Ja, ich bin gleich wieder da. Ich werde hier nur ein paar Dinge erledigen“, hört es dich antworten. Es würde sich so freuen, wenn du zu ihm kommst. Es möchte eine Umarmung von dir. Es erinnert sich gerade daran, wovon es geträumt hat, und es möchte dir erzählen.
Dein Kind wartet und wartet. Und wartet. Eine halbe Ewigkeit. Niemand kommt.
„Jetzt stehe ich auf“, denkt dein Kind. Es versucht, die Enttäuschung darüber, dass du nicht gekommen bist, beiseite zu schieben. Es steht auf und fängt an zu spielen.
Nach einer Weile betrittst du das Zimmer. „Hallo, ich bin jetzt hier. Willst du wissen, was ich schon gemacht habe?“ hört es dich sagen. Aus der Enttäuschung ist jetzt latente Wut geworden. Es hat nicht wirklich Lust, mit dir zu reden. Und mittlerweile hat es auch vergessen, wovon es geträumt hat…
Was denkst du? Wie fühlt sich das Kind? Was würde das Kind brauchen?